Ein sorgenvoller Blick in die Zukunft Israels NAHOST Der frühere israelische Außenminister Shimon Peres schildert seine Sicht des Konflikts Von Ludwig Watzal Das Buch Kohelet inspirierte den Grand Old Man der israelischen Politik, Shimon Peres, zum Titel seines Buches, in dem er seine Erfahrungen aus einem langen Politikerleben der Nachwelt überliefert. Auch Baruch Goldstein, der am 25. Februar 1994 29 betende Muslime in der Ibrahim Moschee in Hebron tötete, begründete seine Tat mit einem Spruch aus dem Buch Kohelet: Es gibt eine Zeit zum Heilen und eine Zeit zum Töten. Peres und Goldstein könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein. Handelt es sich bei Peres um einen verantwortungsbewussten Staatsmann, war der Arzt Goldstein ein fanatischer Extremist, der bei seinem Massenmord durch eine aufgebrachte Menge selber ums Leben kam. Den autobiographischen Erinnerungen des früheren israelischen Außenministers Peres haftet etwas sorgenvolles, aber auch etwas prophetisches an. Sorgen bereitet Peres die Zukunft Israels, die er nicht für absolut gesichert hält. Trägt nicht dazu auch im besondern Maße die Politik Ariel Scharons bei? Einerseits faszinieren die wissenschafts- und technikgläubigen Ausführungen des Autors den Leser, andererseits steckt das Buch voller politischer Ambivalenzen. Sie sagen sehr viel über die Persönlichkeit von Peres aus. Vielleicht liegt darin auch das Geheimnis, warum er im Ausland hochgeachtet, aber von den Israelis sehr reserviert betrachtet wird. Wie so oft gilt der Prophet im eigenen Land nichts. Die Ambivalenz wird deutlich, wenn man Sätze liest wie: "Die Errichtung, die Wiederherstellung eines jüdischen Staats ist noch immer nicht vollendet. ... Wir haben nicht das moralische Recht, ein anderes Volk zu beherrschen. ... Kein israelischer Staatsbürger darf, nur weil er Araber ist, diskriminiert werden, sei das in Urteilen über ihn, sei es in rechtlicher Art." Für Peres befindet sich Israel immer noch im Krieg. Als Leser fragt man sich, warum Peres, der mehr als 50 Jahre die Politik seines Landes an maßgeblicher Stelle mitgeprägt hat, diese Missstände nicht abstellte, als er die Macht dazu hatte. Peres gilt als Vater der israelischen Atomindustrie. "Dimona hat Oslo ermöglicht." Heißt das im Umkehrschluss, dass es ohne die "Textilfabrik" in Dimona, wie die Atomfabrik in Israel beschönigend genannt wurde, noch nicht einmal die Oslo-Verträge gegeben hätte? Auch Peres ist davon überzeugt, dass es ohne die "mutmaßliche Atomoption mit ihrem Bedrohungspotential" keine Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien gegeben hätte. Soll damit unterstellt werden, dass die Palästinenser und die Araber nur die Sprache der Gewalt verstehen? Schon vor der Staatsgründung Israels war Peres die rechte Hand des ersten Ministerpräsidenten David Ben-Gurion, der ihn immer mit Sonderaufgaben betraute. Fast alle kreisten um Rüstung, Technologie und Wissenschaft. Vielleicht rührt daher seine fast grenzenlose Bewunderung für die Lösung vieler Probleme durch Wissenschaft und Technik, selbst was die Lösung des Nahostkonflikts betrifft. Er hält die Unterentwicklung der arabischen Länder, deren technologische Rückständigkeit und gesellschaftspolitischen sowie demographischen Probleme langfristig für gefährlicher für den Frieden als die Kolonisierungs- und Expansionspolitik seines Landes. Die Stagnation der arabischen Welt und der daraus resultierende Fundamentalismus und Extremismus scheint nach Peres langfristig die gesamte Region zu destabilisieren. Folgerichtig empfiehlt der Autor den arabischen Herrschern eine Modernisierung ihrer Gesellschaften als das beste Antiterrorprogramm. Große Bewunderung zollt Peres dem ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt und dem ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß; nicht so gut kommt Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Bruno Kreisky weg, der sich immer für die Rechte der Palästinenser eingesetzt hatte. Mit harscher Kritik wird sein "Parteifreund" und Ex-Ministerpräsident Ehud Barak bedacht. "Barak wird in die Erinnerung der Israelis und seiner Partei als Mann der Irrtümer eingehen." Das Scheitern der Nahost-Friedensverhandlungen von Camp David sei primär Barak anzulasten, weil er sich als "unfähig erwies, die palästinensische Empfindlichkeiten zu berücksichtigen". Die Behandlung Arafats durch Barak sei "politisch nicht annehmbar" gewesen, so Peres. In der Tat hat Barak Arafat in den zwei Verhandlungswochen in Camp David nur eine Stunde gesehen, und dies bei einem Essen. Peres präsentiert sich als bester Verkäufer Israels im Ausland. Leider ist ihm oder seinem Lektorat ein peinlicher Fehler unterlaufen: Gleich zwei Mal wird behauptet, dass in der Teilungsresolution 181 der UNO vom November 1947 für den jüdischen Staat 45 Prozent und den palästinensischen 55 Prozent des Landes vorgesehen waren - tatsächlich war es umgekehrt. Leider klafft bei den Ausführungen von Peres zwischen Vision und Realität auch deshalb eine so große Kluft, weil er sie als aktiver Politiker hätte schließen können. Viel interessanter wäre die Frage gewesen, warum er es nicht getan hat? Leider gibt darauf das Buch keine Antwort. Shimon Peres: Eine Zeit des Krieges, eine Zeit des Friedens. Erinnerungen und Gedanken. Siedler, München 2004, 205 Seiten, 18 Euro.