Brandherd Nahost Shimon Peres, Eine Zeit des Krieges, eine Zeit des Friedens. Erinnerungen und Gedanken. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Maja Ueberle-Pfaff, Siedler Verlag, München 2004, 205 Seiten, 18,00 EUR Lätitia Bucaille, Generation Intifada. Aus dem Französischen von Ilse Utz, Hamburger Edition, Hamburg 2004, 207 Seiten, 16,00 EUR Felicia Langer, Brandherd Nahost oder: Die geduldete Heuchelei. Lamuv Verlag, Göttingen 2004, 170 Seiten, 9,90 EUR Die drei Bücher könnten unterschiedlicher nicht sein: Einer der wichtigsten israelischen Politiker bringt seine autobiografischen Aufzeichnungen zu Papier, eine französische Politikwissenschaftlerin liefert anhand eines gesellschaftskritischen Ansatzes eine ausgezeichnete, in Teilen ambivalente Analyse der palästinensischen Gesellschaft und eine ehemalige israelische Menschenrechtsanwältin hält ihrem Land den Spiegel vor. Politische Ambivalenzen Den autobiografischen Erinnerungen von Shimon Peres haftet etwas sorgenvolles, aber auch etwas prophetisches an. Sorgen bereitet dem Politiker die Zukunft Israels, die er nicht für absolut gesichert hält. Einerseits faszinieren die wissenschafts- und technikgläubigen Ausführungen des Autors den Leser, andererseits steckt das Buch voller politischer Ambivalenzen. Sie sagen sehr viel über die Persönlichkeit von Peres aus. Vielleicht liegt darin auch das Geheimnis, warum er im Ausland hochgeachtet, aber von den Israelis sehr reserviert betrachtet wird. Wie so oft gilt der Prophet im eigenen Land nichts. Wenn man Sätze ließt wie: "Die Errichtung, die Wiederherstellung eines jüdischen Staats ist noch immer nicht vollendet. ... Wir haben nicht das moralische Recht, ein anderes Volk zu beherrschen. ... Kein israelischer Staatsbürger darf, nur weil er Araber ist, diskriminiert werden, sei das in Urteilen über ihn, sei es in rechtlicher Art. ... Ihr Leiden (das der Palästinenser, L.W.) erwächst auch aus der Situation des Terrors", wird die Ambivalenz deutlich. Als Leser fragt man sich, warum Peres, der seit über 50 Jahren die Politik seines Landes an maßgeblicher Stelle mitgeprägt hat, diese Missstände nicht abstellte, als er die Macht hatte? Schon vor der Staatsgründung Israels war Peres die rechte Hand des ersten Ministerpräsidenten Israels, David Ben-Gurion, der ihn immer mit Sonderaufgaben betraute. Fast alle kreisten um Rüstung, Technologie und Wissenschaft. Vielleicht rührt daher seine fast grenzenlose Bewunderung für die Lösung vieler Probleme durch Wissenschaft und Technik, selbst was die Lösung des Nahostkonflikts betrifft. Er hält die Unterentwicklung der arabischen Länder, deren technologische Rückständigkeit und gesellschaftspolitischen sowie demographischen Probleme langfristig für friedensgefährdender als die Kolonisierungs- und Expansionspolitik seines Landes. Die Stagnation der arabischen Welt und der daraus resultierende Fundamentalismus und Extremismus scheint nach Peres langfristig die gesamte Region zu destabilisieren. Folgerichtig empfiehlt der Autor den arabischen Herrschern eine Modernisierung ihrer Gesellschaften als bestes Antiterror-Programm. Peres präsentiert sich als bester Verkäufer Israels im Ausland. Leider ist Peres - oder eher dem Lektorat ? - ein peinlicher Fehler unterlaufen: Gleich zweimal wird behauptet, dass in der Teilungsresolution 181 der UNO vom November 1947 für den jüdischen Staat 45 Prozent und den palästinensischen 55 Prozent des Landes vorgesehen waren; tatsächlich war es aber gerade umgekehrt! Generell sollte der Leser bei autobiografischen Aufzeichnungen von Politikern immer sehr skeptisch sein. Leider klafft bei den Ausführungen von Peres zwischen Vision und Realität auch deshalb eine so große Kluft, weil er sie als aktiver Politiker hätte schließen können. Viel interessanter wäre die Frage gewesen, warum er es nicht getan hat? Leider gibt darauf das Buch keine Antwort. Palästinensische Gesellschaft Lätitia Bucaille, Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft an der Universität Bordeaux, schildert anhand der Lebensgeschichten von Sami, Naiy, Bassam und anderen jungen Kämpfern (Shebab) aus Flüchtlingslagern die sozialen und politischen Spannungen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft, die Versuchungen des Krieges und die zunehmende Radikalisierung. Sie versucht durch die Analyse von Frustrationen, Wünschen und Hoffnungen, die Ursachen des Konfliktes zu verstehen, der schier endlos zu sein scheint. Schwerpunktmäßig kreisen ihre Ausführungen um die beiden Intifadas, der ersten von 1987 bis 1994 und der zweiten von Ende September 2000 bis heute. Weitere Kapitel befassen sich mit der Autonomiebehörde, den Rissen in der palästinensischen Nation und einer möglichen Trennung beider Völker. Ziel der Untersuchung ist es, die Erfahrungen der Palästinenser in den besetzten Gebieten darzustellen. Dies geschieht anhand von persönlichen Biografien, um dadurch das Umschlagen des Friedensprozesses in eine Kriegslogik zu erklären. Die PLO verfolgte bis zur Anerkennung Israels durch ihren Nationalkongress am 15. November 1988 in Algier eine Strategie des bewaffneten Kampfes. Im Gegensatz dazu stellt die Strategie der Intifada von 1987 etwas völlig Neues dar, weil sie mit der Tradition der Gewalt brach, so die Autorin. Die Aktionen des zivilen Ungehorsams schufen nicht nur eine Massenbasis und Strukturen der Selbstverwaltung, sondern demonstrierten, dass es eine palästinensische Nation mit einer eigenen Identität gab. Dadurch veränderte sich das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten und verlieh den letzteren "eine Würde". Das Scheitern der Intifada lag letztendlich daran, "dass die Protagonisten es nicht verstanden haben, die nationale und soziale Dimension des Kampfes deutlich zu machen". An Glaubwürdigkeit habe diese Bewegung auch deshalb eingebüßt, weil der zivile Widerstand und der begrenzte Einsatz von Gewalt einer wachsenden Brutalität Platz machen musste, und zwar in Form der Tötung von Kollaborateuren, so Bucaille. Im Gegensatz zur Al-Aqsa-Intifada beschränkten sich die Aktivitäten auf die besetzten Gebiete, und Angriffe auf Israelis wurden abgelehnt. Ganz im Gegensatz zur ersten Intifada steht die zweite, die Al-Aqsa-Intifada, von 2001. Sie stelle keine strukturierte Bewegung dar, an der die gesamte palästinensische Bevölkerung beteiligt sei. Die Träger des neuen Aufstands gehen weniger koordiniert vor, ihre Ziele und Methoden weichen häufig voneinander ab, und ein Teil ist von ihrer Gesellschaft isoliert. Hinzu kommt, dass die Autonomiebehörde die bewaffneten Kämpfer kaum kontrollieren kann. Das Scheitern der Al-Aqsa-Intifada liegt aber auch an "der Einstellung der einflußreichen Familien, die sich hinderlich auf die Intifada auswirkt". Sie fürchteten einen Umsturz der von ihnen beherrschten sozialen Ordnung. Diese Klassenwidersprüche hat es zwar schon immer in der palästinensischen Gesellschaft gegeben, traten aber durch die Rückkehr Arafats und seiner "Tunesier" deutlich zu Tage. Sie waren der ursprünglichen Gesellschaft so entfremdet, dass sie sich hinter hohen Mauern mondäne Villen errichteten, wohingegen ihre Landsleute in den Flüchtlingslagern weiter dahin vegetieren mussten. Diese Neuankömmlinge seien von der neu entstandenen Händlerklasse mit Misstrauen betrachtet worden. "Sie halten sie für inkompetent, korrupt, arrogant und fürchten die Auswirkungen des früheren Bündnisses zwischen den führenden Leuten der Autonomiebehörde und den Intifada-Aktivisten." Diese Klasse war es auch, die sich mit der israelischen Besatzung arrangiert hatte und von ihr profitierte. Gleichwohl suchte Arafat die Unterstützung der Bourgeoisie. Die brutalen Zusammenstöße mit der israelischen Armee habe die nationale Solidarität in dem Maße beeinträchtigt, in dem sich die Interessenunterschiede zwischen Mittelschichten und bewaffneten Kämpfern vertieften, so die Autorin. Hatte nach Bucaille die erste Intifada noch zu einer stabilen Identität geführt, so wurde diese durch die Einführung der Autonomiebehörde erschüttert. In der Zeit des "unsicheren Friedens" war es ihr nicht gelungen, etwas ähnliches der jungen Generation zu vermitteln. Sie lebe in einem von Gewalt geprägten Milieu, dessen Grenzen zur Kriminalität fließend geworden seien. Durch die Gewalt der Besatzungsmacht haben sie keinerlei Perspektive und Einfluss mehr, den sie durch ihren Widerstand in der ersten Intifada errungen hatten. Das Scheitern des Friedensprozesses habe bei der Mehrheit der Menschen zur Apathie und zur Radikalisierung geführt. Symptom dafür seien die Selbstmordattentate. Für die Autorin zeigt die Popularität der Selbstmordattentate, dass sich die palästinensische Gesellschaft islamisiert. Hamas habe zwar keinen politischen Sieg errungen, aber "es ist ihr gelungen, ihre Ideologie zu verbreiten, die im Märtyrer ein Vorbild sieht". Inwieweit die israelische Unterdrückungspolitik dazu ihren Beitrag geleistet hat, fragt die Autorin jedoch nicht. Dass das Versagen der Arafat-Behörde auch für die Gewalt innerhalb der palästinensischen Gesellschaft verantwortlich sei, gehört zu den weiteren inkriminierenden Unterstellungen dieses Buches. Das Buch liefert in weiten Teilen eine realitätsnahe Analyse der palästinensischen Gesellschaft, die um ihre Existenz kämpft. Es gibt aber auch zahlreiche Passagen, die den Eindruck erwecken, die israelische Besatzung sei doch gar nicht so schlimm und manchmal sogar vorteilhaft für die Palästinenser: So werden die gezielten Tötungen durch Sondereinheiten, die sich als Araber verkleiden und die in Israel auch "Todesschwadronen" genannt werden, als völlig legitim dargestellt. Auch wolle Israel die Palästinensergebiete nicht wirtschaftlich beherrschen, sondern sei primär an seiner Sicherheit interessiert. Israel habe ein Sicherheitskonzept entwickelt, das in beiderseitigem Interesse liege. Die Eingeschlossenheit in den Gebieten trage dazu bei, dass junge Leute keine pragmatischen Positionen entwickeln könnten. Paradoxerweise bringe die direkte Konfrontation mit Israel den Menschen die konkrete Realität näher, nämlich die Existenz Israels, mit der man sich arrangieren müsse. Was wohl die Unterdrückten zu diesen bahnbrechenden Erkenntnissen sagen würden? Einige dieser beschönigenden Beschreibungen israelischer Besatzungspolitik können nur als zynisch bezeichnet werden und entwerten das ansonsten gut reflektierende Buch. Heucheleien Das Buch der ehemaligen israelischen Menschrechtsanwältin und Trägerin des so genannten alternativen Nobelpreises Felicia Langer hebt sich positiv von den beiden anderen ab, weil es schonungslos die Heuchelei sowohl der israelischen Regierung als auch des Westens aufdeckt. Die Autorin hat zahllose Statements von Politikern, Auszüge aus den Berichten von Menschrechtsorganisationen und Friedensgruppen sowie Berichte und Zeitungskommentare über Israel und Palästina zusammengetragen und kenntnisreich interpretiert wie politisch eingeordnet. Langer weist auf die einseitige Sichtweise der USA in Bezug auf Israel hin, die durch die Sicherheitsberaterin von Präsident Bush, Condoleeca Rice, so formuliert wurde: Israel sei die Seite, die den Frieden wolle, und die Sicherheit Israels sei der Schlüssel zur Sicherheit der Welt! Wie kann da jemand die Realität so falsch interpretieren, der für den Frieden in der Welt eine so große Verantwortung trägt? Selbstmordattentate und Besatzung gehören zusammen wie siamesische Zwillinge. Die Autorin verurteilt beides, weiß aber, wer dafür die Verantwortung trägt: "Israel hat alle Pforten zum palästinensischen Leben hermetisch abgeriegelt und die Palästinenser durch Unterdrückung, Demütigung und dem Kampf gegen ihre Existenz zur suizidalen Verzweifelung gebracht." Die Autorin deckt weitere Vorgänge auf, die weder in Deutschland noch in den USA auf Grund der teilweisen Tabuisierung der Politik Israels jemals das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätten. Eindeutig äußert sich Langer zur Antisemitismusdebatte in Deutschland. "Jüdische Gemeinden erwecken oft den Eindruck als seien sie Filialen der israelischen Botschaft", so die Autorin. "Diejenigen, welche die Antisemitismus-Debatte anzettelten, hatten das Ziel, die Stimmen der Kritik an Israel zum Schweigen zu bringen." Langer weiß, wovon sie spricht. Sie nennt einige Beispiele für ihre eigene öffentliche Herabsetzung durch jüdische Deutsche. Langer hat einen schonungslosen Zustandbericht über die drei letzten Jahre gegeben. Nach dieser Lektüre sind selbst die treuesten Verteidiger Israels aufgefordert, die Politik der Scharon-Regierung heftig zu kritisieren und sie zur Umkehr und zur Achtung des Völkerrechts aufzufordern. Ludwig Watzal