Zionismus, Apartheid und das palästinensische Flüchtlingsproblem Die zentrale These des spannenden Buches von John Rose ist, daß der Zionismus durch eine Vielzahl von Mythen zusammengehalten werde. Allein dies zu konstatieren ist bereits mutig. Geradezu bescheiden formuliert er, daß es lediglich sein Anliegen sei, die mythische Geschichte des Zionismus zu zerstören. Es gehört zum Wesen der Wissenschaft, Mythen zu entzaubern, aber was wissenschaftlich geboten erscheint, kann verheerende persönliche Konsequenzen für den betreffenden Autor haben. Nachdem Rose fast alles in Frage stellt, was der israelischen politischen Elite als «heilig» gilt, zieht er folgendes Resümee: «Zionismus ist das Problem; seine Beseitigung ist eine Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten und für eine arabisch-jüdische Aussöhnung in Palästina.» Diese Schlußfolgerung können die Palästinenser bestimmt nachvollziehen, aber nur wenige in Deutschland oder den USA. John Rose lehrt Soziologie am Southwark College und an der London Metropolitan University. Der Autor dekonstruiert die Mythen des Zionismus. Was in den USA und Deutschland einem politischen Selbstmord gleichkommt und in Israel als staatsfeindlich angesehen wird, ist in Großbritannien offensichtlich noch möglich. Rose trennt fein säuberlich die Fakten von den Fiktionen und den Mythen, welche die Zionisten vor und die israelischen Politiker nach der Staatsgründung Israels verbreitet haben. David Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, sei, so Rose, der beste «myth-maker» gewesen. «Ben-Gurion ersetzte den Messias als Person durch den Zionismus als messianische Bewegung. Dadurch muß der Erlösung der Menschheit die Erlösung der Juden vorausgehen, die in der Wiedererlangung ihres Landes besteht.» (S.11) Martin Buber und Yeshajahu Leibowitz, die sich selbst als Zionisten verstanden, seien von Ben-Gurions Instrumentalisierung des Judentums für politische Zwecke entsetzt gewesen, so Rose. Buber habe Ben-Gurion vorgeworfen, daß er die spirituellen Grundlagen Zions vereinnahmt hätte. Ben-Gurion schreibe, daß das Land seit 2000 Jahren unbewohnt gewesen sei. Dieser Mythos bilde eine der zentralen Legenden des Zionismus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, so der Autor. Rose analysiert die jüdische Geschichte und die daraus abgeleitete Forderung auf Palästina. Er hält diese nicht für überzeugend historisch begründet. Ebenso verhält es sich mit dem Anspruch auf das «Land Israel», denn dies sei selbst ein «religiöser Mythos». Der Autor beschreibt den Widerstand der Bauern gegen die Enteignung ihres Landes. Über die palästinensischen Elite konstatiert er, daß es ihr von Beginn an klar gewesen sei, daß die Kolonisierung Palästinas zu ihren eigenen Lasten gehen würde. Der Widerstandswille sei bis heute ungebrochen, weil es um Gerechtigkeit und Wahrheit gehe. Der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen, ist ein zentrales Anliegen von John Rose. Seit Jahrzehnten setzt sich Uri Davis für die Menschenrechte und die Achtung des Völkerrechts im israelisch-palästinensischen Konflikt ein. Er zögert nicht, den Finger in die offenen Wunden israelischer Politik zu legen, den Zionismus, die Umstände der Staatsgründung, die Gesetzgebung des Landes, die politische Repression gegenüber den Palästinensern sowie die Möglichkeiten eines Widerstandes gegen Unrecht von innen heraus. Er wirft seinem Land vor, ein Apartheid-Regime errichtet zu haben, vergleichbar dem des ehemaligen südafrikanischen. Der Unterschied zum Apartheid-Regime Südafrikas bestehe darin, daß das israelische durch Gesetze der Knesset – dem israelischen Parlament - institutionalisiert worden sei. Der Autor kritisiert die Politik seines Landes ausgehend vom Begriff der Menschenrechte. Zu welchen Ergebnissen er dabei in Bezug auf den politischen Zionismus und das Rechtssystem kommt, ist für Israel alles andere als schmeichelhaft. Davis befürwortet das Konzept eines demokratischen, binationalen Staates. Es verwundert nicht, daß er damit in Israel auf Ablehnung stößt. Ist doch der politische Zionismus mit dem Anspruch angetreten, einen jüdischen Staat zu schaffen. Für einen binationalen Staat tritt in Israel – abgesehen von einem großen Teil der israelischen Palästinensern - nur eine winzige Minderheit ein. Davis hat eine Fülle von Fakten zusammengetragen, die eine Voraussetzung dafür wären, daß Frieden in Israel und Palästina einkehren könnte, wenn sich die israelische Regierung die Achtung der Menschenrechte auf die Fahnen schreiben würde. Sein Mut, seine moralischen Prinzipien und seine Detailkenntnis sind beeindruckend. Die Gründung Israels wird vom jüdischen Volk zu Recht als ein Akt der Befreiung gesehen; für die palästinensische Bevölkerung hat sie sich als «Katastrophe» (al-Nakba) ins kollektive Bewußtsein eingeprägt. Wie die Shoa die jüdische Identität nachhaltig geprägt hat, so bestimmen die Umstände von Flucht und Vertreibung den palästinensischen Narrativ. Das Flüchtlingsproblem bildet bis heute ein unüberwindliches Hindernis für ein friedliches Zusammenleben beider Völker. Die Ereignisse von 1948 machten Hunderttausende von Palästinensern zu Flüchtlingen; im Augenblick sind es ungefähr vier Millionen. Sie leben bis heute in Flüchtlingslagern in den umliegenden arabischen Nachbarstaaten, der Diaspora und in den von Israel besetzten Gebieten. Alle israelischen Regierungen verweigern ihnen die Rückkehr in ihre Heimat mit dem Argument, ihre Rückkehr würde den nationalen Charakter des Staates Israel auslöschen und die jüdische Mehrheit in eine Minderheit verwandeln, wie Shimon Peres es genannt hat. Mit diesem Argument werden alle völkerrechtlichen Ansprüche der Palästinenser zurückgewiesen, auch die materiellen Entschädigungsforderungen. Nur Masalha vermutet, daß die Israelis die Rückkehr der Palästinenser nicht wollten, weil sie ihr Land für jüdische Siedlungen und Immigranten brauchten (S. 1 ). Nur Masalhas Buch trägt den bezeichnenden Titel «Politics of Denial» und versucht, die Entstehung der Politik Israels gegenüber den Flüchtlingen von 1948 zu analysieren. Diese Politik zielte von Beginn an auf eine Ablehnung des Rückkehrrechts, so der Autor. In sieben Kapiteln gibt Masalha einen umfassenden Überblick über die Entstehung des Flüchtlingsproblems von 1948 bis zu den Lösungsvorschlägen, die seit der Friedenskonferenz von Madrid 1991 bis zu den Gesprächen in Taba 2001 gemacht worden sind. Bei genauerer Betrachtung zeige sich, daß die palästinensische Seite weitgehende Zugeständnisse sowohl in Camp David als auch in Taba gemacht hatte, Israel aber nicht bereit gewesen war, diese zu akzeptieren. Arafat wäre sehr flexibel gewesen. Dennoch sei ihm die Schuld für das Scheitern in Camp David von Barak und Clinton zugeschoben worden. Der Autor verweist besonders auf die Rolle, die Yossi Beilin in der Flüchtlingsfrage gespielt habe. «Der Flüchtlingsansatz von Israel (und Beilins) stellt die Geschichte auf den Kopf.» Beilins Verhandlungsgeschick zeigte sich nicht nur bei den Osloer Verträgen, sondern auch bei der so genannten Genfer Initiative. In diesem Dokument konnte Beilin die palästinensische Delegation davon überzeugen, daß das Rückkehrrecht nicht zu ihren elementaren Rechten gehöre; eine Ansicht, die auch immer von Abu Mazen vertreten wurde. Wer sich über die Hintergründe der Vertreibung, die Verweigerung des Rückkehrrechts für palästinensische Flüchtlinge und die Argumentation der israelischen Regierungen umfassend informieren will, ist mit diesem Buch bestens bedient. Es gibt einen guten Überblick über die Debatte, die von den so genannten Neuen Historikern ausgelöst worden ist. Sie haben Ende der achtziger Jahre die moralische Verantwortung der israelischen Regierung für Flucht und Vertreibung der Palästinenser offen gelegt. Ludwig Watzal John Rose, The Myths of Zionism, Pluto Press, London 2004, 232 Seiten, £ 14.99. Uri Davis, Apartheid Israel. Possibilities for the struggle within, Zed Books, London 2003, 242 Seiten, £ 14.95. Nur Masalha, The Politics of Denial. Israel and the Palestinian Refugee Problem, Pluto Press, London 2003, 298 Seiten, £ 16.99. In: inamo, 11 (2005) 41, Seiten 56 f.