Israel und Palästina - zum Frieden verdammt? Eine Analyse des Nahostkonflikts nach vier Gründen Im Nahen Osten regiert wieder das Chaos. Die Region ist in das gewohnte Schema von Terror und Gegenschlägen zurückgefallen. Bei dieser fast aussichtslosen Lage ist guter Rat teuer. Einen Ausweg könnte das Buch von Bernard Wasserstein, Geschichtsprofessor in Glasgow, zeigen. Seine Vorgehensweise ist ungewöhnlich, typisch britisch pragmatisch. Er bedient sich eines mehrdimensionalen Ansatzes und verbindet damit die Hoffnung, dass dadurch eine friedliche Lösung des über hundertjährigen Konfliktes erreicht werden könnte. Der Autor untersucht die Geschichte des Konflikts anhand von vier Kriterien: dem demographischen, dem sozioökonomischen, dem ökologischen und dem territorialen. Er kommt zum Schluss, dass die beiden Völker durch die äusseren Umstände, die ihnen von den Sachzwängen auferlegt werden, dazu verdammt seien, eine friedliche Lösung zu erzielen. «Diese Analyse deckt das Wirken grundlegender Kräfte auf, die Israeli und Palästinenser, wie die Bewegung tektonischer Platten, näher und schneller auf eine Versöhnung zutreiben könnten.» Ein wenig deterministisch scheint dies schon zu sein, obwohl er seine Argumente überzeugend vorträgt. Demographische Zwänge Wasserstein hält den demographischen Imperativ für einen zentralen Aspekt zum Verständnis des bilateralen Konflikts. Er diskutiert die Bevölkerungsfrage von Beginn der zionistischen Besiedelung Palästinas an und kommt zum Schluss, dass Israel zwei Optionen habe, mit der Bevölkerungsfrage im Sinne eines jüdischen Staates umzugehen: Masseneinwanderung oder «Transfer». Sein Résumé: «Der Zionismus ist [. . .] dabei, den demographischen Wettlauf zu verlieren.» Neben dem demographischen Imperativ war der Zionismus von Beginn an auch von einem sozialen Imperativ beherrscht. Die «Pioniere» waren Anhänger einer zionistisch-sozialistischen Ideologie. Sie schufen nicht nur eine bewusste «Sabra-Weltanschauung» eines in Israel geborenen sogenannten «Muskeljuden» als bewusstes Kontrastprogramm zum «Ghettojuden», sondern auch eine egalitäre Gesellschaft, die bewusst die Araber ausschloss. Diese egalitäre Ideologie sei mit der Massenimmigration von Juden aus Afrika und Asien untergegangen. Davon übrig geblieben sei einzig der jüdische Charakter des Staates Israel und dieser sei durch die demographische Entwicklung bedroht, schreibt Wasserstein. Durch Wassermangel verbunden Den Umweltfaktor macht der Autor am Problem des Wassers fest. Im Hinblick darauf könne man Israeli und Palästinenser als siamesische Zwillinge betrachten. Dieser Überlebenskampf zwinge beide Seiten dazu, nolens volens zu kooperieren. Auffällig ist, dass Wasserstein oft monokausale Erklärungen für die Auseinandersetzung gibt und damit suggeriert, durch die Beseitigung dieser Ursachen würde der Konflikt automatisch einer Lösung zugeführt. So waren nach ihm die «hohe Arbeitslosigkeit» und die damit zusammenhängenden sozialen Spannungen der Grund für den Ausbruch der ersten Intifada. Diese Erklärung lässt die Missstände der Okkupation und die Frustrationen völlig ausser acht. Im Kapitel über das Territorium stellt der Autor die These auf, dass die Spaltung der Gesellschaft in Palästina nicht erst durch die israelische Staatsgründung vollzogen wurde, sondern durch eine bewusste Politik der britischen Mandatsverwaltung. Die heutige Entwicklung im Nahen Osten treibe Israel zwangsläufig auf einen «territorialen Kompromiss» zu. Obgleich es seit Ausbruch der Al-Aksa-Intifada eine Radikalisierung in beiden Gesellschaften gibt und beide eine gewisse Toleranz gegenüber der Gewalt entwickelt haben, scheint doch eine Mehrheit für eine Zweistaatenlösung zu plädieren. Wassersteins Thesen werden plastisch untermauert durch über 30 Karten. Ob diese Herangehensweise tatsächlich die ganze Dimension dieses Konfliktes erfasst und ihn einer Lösung zuführt, muss skeptisch betrachtet werden. Ludwig Watzal Bernard Wasserstein: Israel und Palästina. Warum kämpfen sie, und wie können sie aufhören? Aus dem Englischen von Sigrid Langhaeuser, Verlag C. H. Beck, München 2003. 195 S., Fr. 17.40, EUR 10.-. Neue Zürcher Zeitung, 6. Dezember 2003, Ressort Politische Literatur.