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Der Tages-Anzeiger am Sonntag, 30.6.2002
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Staatsgründung vertagt bis in alle Ewigkeit

Die neue Nahost-Initiative der USA werde den Palästinensern nicht zu einem echten Staat verhelfen. Washington nehme zu stark Rücksicht auf die Interessen Israels, kritisiert der Politologe Ludwig Watzal.

Mit Ludwig Watzal sprach Urs Gehriger

Nach langem Zaudern hat US-Präsident Bush einen Nahost-Entwurf unterbreitet, der einen Palästinenserstaat in Aussicht stellt. Endlich ein Lichtblick im gewalterfüllten Alltag von Israeli und Palästinensern?

Bushs Nahost-Rede ist sehr enttäuschend ausgefallen. Die Position von Aussenminister Colin Powell, der eine Nahost-Konferenz einberufen wollte, ist völlig untergegangen. Stattdessen hat sich Bush auf die Seite von Ariel Sharon geschlagen: Die Palästinenser sollen die Führung auswechseln; Arafat soll der politische Gnadenstoss versetzt werden.

Die US-Vision erinnert an den gescheiterten Oslo-Prozess. Zwischen 1993 und 2000 gab es zwei ungleiche Verhandlungspartner: Israel, das mit Rückendeckung der USA Forderungen stellte, und die Palästinenser, die in der Bringschuld standen.

Bushs Nahost-Vision ist in der Tat nach einem ähnlichen Muster gestrickt. Die Oslo-Verhandlungen sind nicht zuletzt deshalb gescheitert, weil sie von Anfang an asymmetrisch waren. Israel konnte seine Kolonisierungspolitik in den besetzten Gebiete fortsetzen, ohne dass es von den USA oder der EU spürbare Einschränkungen erfahren hatte. Und ähnlich soll es auch jetzt wieder ablaufen. Selbst wenn die Palästinenser die Bedingungen der Amerikaner und der Israeli erfüllen, bekommen sie noch nicht einmal einen echten Staat.

Die Rede ist von einem «provisorischen» Staat. Wie soll der aussehen?

Dieser Übergangsstaat soll sich offensichtlich lediglich auf die Gebiete erstrecken, in denen die Palästinenser vor der Intifada über vollständige oder teilweise Autonomie verfügt hatten, also rund 90 Prozent des Gazastreifens sowie 40 Prozent des Westjordanlandes. Sollten die Palästinenser auf die Forderungen der USA und Israels eingehen, würde das bedeuten, dass die Errichtung eines unabhängigen Staates auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Denn erst wenn der Übergangsstaat entstanden ist, wird über alle relevanten Fragen - endgültige Grenzen, Jerusalem, Flüchtlinge - verhandelt. Hält man sich die letzten acht Jahre Nahost-Verhandlungen vor Augen, dann kann man sich vorstellen, was dabei herauskommen wird.

Seit 40 Jahren handelt Arafat nach einem Prinzip: zu überleben. Wie soll nun seine Entmachtung ablaufen?

Bush verlangt von den Palästinensern eine Unmöglichkeit. Nicht nur Arafat, die gesamte Führung soll abdanken. Es besteht die Gefahr, dass genau das Gegenteil geschieht. Der Druck von aussen könnte die Palästinenser in eine Trotzhaltung drängen, in der sie Arafat weiter unterstützen, obwohl die meisten von ihm längst die Nase voll haben.

Bush hat zu Recht die korrupte und eigenmächtige Palästinenser-Regierung gebrandmarkt. Wie können die bitter nötigen Reformen vollzogen werden?

Arafat hat vergeblich versucht, sich aus dem Sumpf herauszuziehen, in den er hineingeritten ist. Heute nimmt ihm niemand mehr ernsthaft ab, dass er die erforderlichen Reformen durchziehen kann. Die Hauptarbeit muss in der palästinensischen Gesellschaft selbst geleistet werden. Die Reformer müssen sich in politischen Parteien organisieren. Das ist leider noch nicht geschehen. Sie sollten aber auch von aussen unterstützt werden. Man muss Arafat unmissverständlich klar machen, dass er diese Gruppen zu akzeptieren hat.

Sind denn Reformen überhaupt denkbar, solange die israelische Armee im Westjordanland und Gazastreifen steht und die israelischen Siedlungen weiter ausgebaut werden?

Die letzten Jahre haben gezeigt, wie schwierig es ist, unter der Besatzung Reformen durchzuführen. Okkupation und eine freiheitliche Gesellschaft schliessen einander aus.

In seiner Rede hat Bush erstmals auch von «besetzten Gebieten» gesprochen. Ist das ein Kurswechsel?

Zwar hat er erstmals diese Formulierung gewählt, sie aber nicht mit weiteren Forderungen verknüpft. So unterliess er es beispielsweise, Israel unmissverständlich aufzufordern, seine Truppen hinter die vor dem Sechstagekrieg 1967 gültigen Grenzen zurückzuziehen.

Arafat scheint gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Hat er resigniert, oder heckt er bereits einen neuen Überlebensplan aus?

Es geht um seine Existenz. Die Strategie, die er seit Ausbruch der Intifada gewählt hat, ist desaströs. Er liebäugelte mit dem Terror als Option zur Befreiung vom israelischen Joch. Als Vorbild nahm er sich offensichtlich die extremistische Schiitenmiliz Hizbollah, welche die israelische Armee nach vielen Jahren zähen Kampfes aus dem Südlibanon vertrieben hat. Wäre Arafat ein kluger Mann, hätte er frühzeitig erkennen müssen, dass diese Guerillataktik im Westjordanland nicht funktionieren kann. Jetzt hat er sich und sein Volk in eine verzwickten Lage manövriert. Wenn es zu einem US-Schlag gegen den Irak kommen sollte, könnte die Existenz der Palästinenser im Westjordanland auf dem Spiel stehen. Führende israelische Politiker reden öffentlich über Vertreibung. Hören die Anschläge der Palästinenser nicht auf, so könnten die israelischen Falken versucht sein, die im Unabhängigkeitskrieg 1948/49 begonnene Vertreibung der Palästinenser zu vollenden und Israel bis zum Jordan auszuweiten.

Die Staatengemeinschaft scheint diese düstere Zukunftssicht nicht zu teilen. Die EU heisst Bushs Entwurf in den Grundzügen gut; der deutsche Aussenminister Fischer lobt den US-Vorstoss sogar explizit. Wie geht es nun weiter?

Von der EU war nichts anderes zu erwarten, insbesondere von Fischer, der eine sehr proisraelische Linie vertritt, für die er in Deutschland auch kritisiert wird. Das positive Echo aus der EU zeigt die Hilflosigkeit dieser Organisation. Die EU kann derzeit nichts anderes leisten, als die Schäden zu reparieren, die durch die israelische Militärmission entstanden sind. Sie verlangt nicht einmal Kompensationen von der israelischen Regierung. Dies zeigt die Erbärmlichkeit der «gemeinsamen» EU-Aussenpolitik, die nicht mehr als eine rhetorische Floskel darstellt. Die USA unterstützen die Israeli derart stark, dass alle internationalen Akteure zu Statisten degradiert werden. Derweil werden im Westjordanland täglich neue Fakten geschaffen. Palästinensisches Land wird enteignet, um eine Mauer zu bauen, die künftige Grenzverhandlungen zu präjudizieren droht.



Ludwig Watzal

Ludwig Watzal ist Publizist und Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Bonn. Der Nahost-Experte hat mehrere Bücher verfasst, darunter «Feinde des Friedens: Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern» (Aufbau-Verlag 2001).



Die Lösung liegt in der Schublade

Kernpunkt des neuen amerikanischen Nahost-Entwurfs ist ein «provisorischer» Palästinenserstaat. Präzise Angaben zu dessen Grenzverlauf hat US-Präsident Bush bisher nicht gemacht. Denkbar ist, dass sich der Rumpfstaat über die autonomen und halb autonomen Gebiete erstrecken wird, die rund 40 Prozent des Westjordanlandes sowie fast den ganzen Gazastreifen umfassen. Die endgültigen Grenzen des Palästinenserstaates sollen in langfristigen Verhandlungen definiert werden, ohne dass dafür ein Zeitplan vorgegeben wurde. Stufenweise müssen die Palästinenser Bedingungen erfüllen, die von den USA aufgestellt wurden und sich weit gehend an den Sicherheitsinteressen Israels orientieren: Ablösung Arafats als Palästinenserchef, tief greifende Reform der Autonomiebehörde, enge Kooperation zwischen israelischen Geheim- und palästinensischen Sicherheitsdiensten.

Bushs Entwurf bedeutet einen massiven Rückschritt, verglichen mit dem letzten Verhandlungsstand vor der Wahl Ariel Sharons zum israelischen Premier. Während im Westjordanland und Gazastreifen bereits die Intifada tobte, hatten sich Israeli und Palästinenser im Januar 2001 im ägyptischen Badeort Taba fast auf eine Lösung des Nahost-Konflikts geeinigt. Für viele Beteiligte sowie Nahost-Experten in aller Welt gilt der Taba-Plan als einzig vernünftige Grundlage für künftige Verhandlungen.

Der Taba-Plan sieht einen unabhängigen Palästinenserstaat auf rund 95 Prozent des Westjordanlandes sowie des ganzen Gazastreifens vor. Ausgenommen wären einzig drei Siedlungsblöcke, in welchen die grössten israelischen Siedlungen zusammengefasst werden sollen. Diese drei «Siedlungsknollen» würden in Israel integriert. Jerusalem sollte die gemeinsame Hauptstadt Israels und Palästinas werden. Auf das Rückkehrrecht der rund vier Millionen Flüchtlinge nach Israel müssten die Palästinenser allerdings weit gehend verzichten. Es wurde diskutiert, sie finanziell abzugelten und in aufnahmewilligen Staaten rund um den Globus anzusiedeln. (geh)


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